Die Wahrheit über Sancho Pansa



Franz Kafka greift ein archetypisches Motiv auf - das ist die Wahrheit über Sancho Pansa. Er braucht zwei Schritte, um seinen Teufel sich vom Leibe zu halten: 1. er bannt ihn durch Erzählungen am Abend und in der Nacht ("durch Beistellung einer Menge Ritter- und Räuberromane in den Abend- und Nachtstunden"); 2. er gibt ihm einen Namen. Wer die Macht hat, den Dingen und Phänomenen einen Namen zu geben oder anders ausgedrückt: sie zu benennen, schafft es, sie zu beherrschen, indem er sie begreift - in Begriffe (Namen) packt. Das könnte auch eine Täuschung sein, denn es gibt auch religiöse Annahmen, die davon ausgehen, dass die Benennung des Bösen, es wach und in den Raum ruft. Jedenfalls wird, und das könnte nicht nur spekulativ sein, eine Beziehung zwischen Sprache und Realität und Realität und Sprache angenommen. Manchmal präformiert Sprache Realität und gibt ihr eine Gestalt, die die Wahrnemung schärft und die Phänomene verdeutlicht. Und die erzählende Sprache bringt die Phänomene in eine kausale Verkettung und in eine logische Aufeinanderfolge in der Zeit, was auch treffend Chronologie genannt wird. Ich habe die ersten Formulierungen solcher Gedanken im Zusammenhang meiner Poetik zum SOKRATES-Roman vorgenommen, aber es spricht nichts dagegen, sie hier noch einmal aufzugreifen - wer weiß? Vielleicht lassen sich auch Gedanken wie Teufel bannen, wenn sie in Formulierungen gepresst werden wie Pflanzen zwischen Buchseiten. Das Hardenberg-Projekt ist die Suche nach der Essenz der Freiheit. Nichts ist verständlicher in diesem Projekt, als dass eine Figur aus der Fiktion nach Inkarnation im Faktischen drängt. Und ebenso verständlich ist, dass die Folge mit einer Schönheit beginnt, die um ihr Leben erzählt, also im Grunde eine Wahrheit mit Sancho Pansa teilt: es gilt den Teufel durch Erzählungen in den Bann zu schlagen. Hier dient die Kunst nicht dem elenden Vergnügen der eigenen durch Erfolg und Anerkennung befriedigten Eitelkeit; die Kunst der Narration wird zu einer wesentlich existenziellen Angelegenheit. Nur leider ist das Hardenberg-Projekt das Ende der Märchenwelt! Es ist wenig optimistisch und ohne die Formel „wenn sie nicht gestorben sind“:

Sheherezade ist geköpft, enthauptet, ermordet. Der Sultan sitzt auf seinem Sofa, dem Diwan des Herrschers und schweigt.

So enden keine Märchen, aber so kann eine Gegenwartserzählung beginnen, der die Wahreit über Sancho Pansa nicht ganz egal ist. Er soll sich übrigens dessen nie gerühmt haben, dass er seinen Teufel im Laufe der Jahre erfolgreich von sich ablenkte und dieser trotz seiner verrücktesten Taten keinen Schaden anrichten konnte. Sancho Pansa galt Franz Kafka als ein freier Mann, der von seiner Begleitung des Don Quixotes eine "große und nützliche Unterhaltung bis an sein Ende" gehabt haben soll. Das Verantwortungsgefühl, wovon Kafka spricht, scheint in keinem Widerspruch zur Freiheit zu stehen, was ich gedanklich sehr begrüße. Sancho Pansa hat eine Freiheit und Überlegenheit, die Sheherezade fehlt. Sie stellt sich dem Tyrannen und dessen teuflischem Treiben, junge Mädchen in seinem Reich zu ehelichen und nach der vollzogenen ehelichen Nacht töten zu lassen. Zwar stellt sich Sheherezade dem Tyrannen aus freien Stücken, sie ist die Tochter des Großwesirs und keineswegs vom Tyrannen zur Ehe angefordert. Und der Vater versucht sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie aber folgt ihrem Plan und ihrer Absicht, nicht mit einer selbstmörderischen Märtyrer-Intention, aber doch der Todesgefahr bewusst. Während aber Sancho Pansa eine interessante Freiheit hat, die sich in einer Kreislinie der Erzälung offenbart, muss Sheherezade den Vollzug des Geschlechtsaktes über sich ergehen lassen, bevor sie mit ihren Erzählungen den tyrannischen Sultan fesseln kann, der auch in der kommenden Nacht wieder etwas von ihr hören möchte. Das kann ich auch als die märchenhafte Geburtsstunde des Fortsetzungsromans interpretieren. In der Wahrheit über Sancho Pansa haben die Erzählungen von Ritter- und Räubergeschichten keine läuternde Wirkung auf den persönlichen Teufel; sie lenken ihn zwar von Sancho Pansa ab, so dass er die verrücktesten Taten aufführt, die sinn- und wirkungslos bleiben und niemandem schaden, aber darüber hinaus scheinen sie keine weitere Wirkung zu haben. Der freie Mann Sancho Pansa folgt dem namentlich erfasst und gebannten Teufel Don Quixote, der wiederum den Geschichten des Sancho Pansa folgt, so dass sich der Kreis schließt, weil Sancho Pansa im Grunde jenen Geschichten folgt, die er selbst in die Welt gesetzt hat. Nicht nur ist aber dadurch der persönliche Teufel entschärft, das ganze hat für Sancho Pansa auch einen großen und nützlichen Unterhaltungswert, wobei eben der Nutzen nicht näher beschrieben wird, es sei denn man akzeptiert, dass er im Wesentlichen darin besteht, den persönlichen Teufel von Sancho Pansa abgelenkt zu haben. Das ist die Magie der Narration. Und wenn ich die Geschichte der in der 1002. Nacht getöteten Sheherezade Niklas Hardenberg erzähle, müsste ich ihn doch abgelenkt und in die Märchenwelt gesandt loswerden können. Das ist mein Plan. Aber er geht nicht auf. Niklas beginnt im Katakombenfoyer herum zu geistern und widmet sich der Ausstellung dort.


Franz Kafka, Die Wahrheit über Sancho Pansa

Sancho Pansa, der sich übrigens dessen nie gerühmt hat, gelang es im Laufe der Jahre, durch Beistellung einer Menge Ritter- und Räuberromane in den Abend- und Nachtstunden seinen Teufel, dem er später den Namen Don Quixote gab, derart von sich abzulenken, daß dieser dann haltlos die verrücktesten Taten aufführte, die aber mangels eines vorbestimmten Gegenstandes, der eben Sancho Pansa hätte sein sollen, niemandem schadeten. Sancho Pansa, ein freier Mann, folgte gleichmütig, vielleicht aus einem gewissen Verantwortlichkeitsgefühl, dem Don Quixote auf seinen Zügen und hatte davon eine große und nützliche Unterhaltung bis an sein Ende.

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