Der rote Faden

Der rote Faden

Der Hund im Hintergrund, mein Freund Diego, ein Teil meiner Seele, meines Herzens, mein Glücksbringer, mein Glück und Streckenabschnittsbegleiter ist im Moment verschwunden - nein, nicht verschollen! Nur verschwunden aus meinem Gesichtsfeld, aus meinem MagicMysteryHouse, aus meinen kommenden Tagen. Er ist wieder bei seiner Familie zuhause und sein zweites Zuhause bei mir verwaist vorübergehend ohne ihn.

Aber doch ach was! Davon wollte ich gar nicht berichten, sondern von der szenischen Lesung, die im Foyer des Katakomben-Theaters als Auftakt- und Vorstellungsveranstaltung des HARDENBERG-PROJEKTES stattfand.

Ich wollte es vermeiden, genau so sollte es nicht sein und kommen, aber es kam, wie es kommen musste: Hardenberg hat andere Pläne als ich. Da sei mir schon die Frage erlaubt: Was er denn bezweckt? Will er meinen Platz einnehmen?



Plötzlich ist er da! Aus dem Nichts, aus dem Hintergrund - ich weiß es nicht. Ich habe gerade die Handvoll Gäste begrüßt, stammle noch nicht warm gelaufen meine Begrüßung, will mit Begriffsklärungen beginnen: wer Hardenberg sei, sei ja klar, aber was zum Teufel sei ein Projekt... ich spiele auf Projektitis an, schlage die Brücke zur freien Szene, um die es ja gehen soll, will etwas zu meinem Kulturverständnis erzählen, da steht er hinter mir - leise muss er sich angeschlichen haben - ich habe ihn nicht gehört. Kaum habe ich ihn hinter mir bemerkt, lässt er eine Armbanduhr vor meiner Nase pendeln - meine Armbanduhr, die ich in der Künstlergarderobe abgelegt hatte! War er etwa an meinen Sachen? Ich nehme verdutzt die Uhr. Stumm setzt er sich auf einen Hocker an einem Stehtisch. Wie einen Fehdehandschuh hat er mir auch noch ein rotes Tuch auf mein Rednerpult gelegt, mein Redemanuskript verdeckt. Ich bin gezwungen zu handeln, lege das Tuch auf den Stehtisch. Das stört ihn nicht weiter - er ist nicht von meiner Welt und doch ist er da! Und doch gehört er vielleicht irgendwie dazu, aber genau dieses Unbestimmte muss geklärt werden.

Wie schön war es, als ich noch allein war und meine Rede begann!

Und ich begann sie mit einer definitorischen Betrachtung der Kultur:
Kultur ist die Gesamtheit aller gepflegten Lebenspraktiken und die sie beeinflussenden Gedanken- und Bewusstseinsinhalte sowie moralischen Vorstellungen.
Und ich komme an den Punkt meiner Definition von Kunst als Ware und Kunst als Leidenschaft - ich polarisiere. Auf der einen Seite wird Kunst zum Konsumgut, zur Unterhaltung, ohne dass etwas davon in unserem Leben hängen bleibt, ohne dass irgend etwas an unserem Leben sich durch die Rezeption der Kunst verändert. Auf der anderen ist die Kunst in der Idee der Aufklärung - aber nicht irgendeiner moralisierenden, belehrenden Aufklärung, sondern in der Art einer Sheherezade aus 1001-Nacht.

Mit Sheherezade werde ich mich aus einer Menge von Gründen auseinandersetzen müssen. Sie ist eine Frauenfigur aus dem Orient, wie man sich orientalische Frauen aus westlicher Sicht so niemals ausmalen würde. Sie ist mutig, erotisch, todesverachtend, klug, ja geradezu weise und was sie ganz besonders zur Jeanne d'Arc des Orients bei aller besonderen und wichtigen Unterschiedlichkeit macht: Sheherezade ist bereit, alle ihre Fähigkeiten politisch einzusetzen. Auf Sheherezade werde ich nicht nur immer wieder zurückkommen; ich vermute, sie ist die heimliche Hauptfigur meiner zukünftigen Gedanken, Phantastereien und Erzählungen. Im Moment aber soll es um Niklas Hardenberg gehen, nach dem dieses Roman-Projekt ja benannt worden ist und man aber auch sofort zurecht fragen kann: Und wonach wurde Niklas als Hauptfigur eines Hörspiels benannt?

Selbstkritisch ist anzumerken, dass die Ironie, mit der ich meine Lesung begann, schwer nachvollziehbar ist, es sei ja klar, wer Niklas Hardenberg sei, was aber sei ein Projekt. Wie verbinde ich ästhetisch die Außen- und die Innenwelt? -die Phantasie und die Realität? -die Kunst und die Gesellschaft? Im Zusammenhang mit dem Hardenberg-Projekt erhalte ich aus ask.fm die Frage: «Warum glaubt die Politik an Kunst? Warum gibt es eine Kulturpolitik? Oder ist das eher eine Kulturverwaltung?» Was für eine schöne Frage! Mindestens von Sheherezades Schönheit! Und doch blieb ich die Antwort darauf sträflich lange schuldig. Noch immer ist sie nicht beantwortet, noch immer schwebt sie mir durch den Kopf und ich formuliere im Geiste immer und immer wieder und bin mir sicher, dass die Antwort ins Archiv für ungeschriebene Texte aufgenommen werden müsste. Eigentlich habe ich die Antwortstrategie schon im Kopf und ich weiß, worauf ich hinaus will: erst gehe ich definitorisch auf den Begriff der Politik ein, dann expliziere ich das in der Frage implizierte Verständnis von „Politik“ und befasse mich mit dem Verhältnis von Politik und Kunst. Hier aber schießt mir die Frage durch den Kopf quer: wo denn die Freiheit bleibt? Sie ist im Archiv für ungeschriebene Texte an einer falschen Stelle abgelegt worden, jenseits der Systematik und wird nicht mehr wieder auffindbar sein, wenn nicht der Zufall der Suche zu Hilfe kommt. Da in unserer Gesellschaft Freiheit so sehr gepriesen wie liquidiert wird und Liquidierung und Preisung im proportionalen Verhältnis zueinander stehen, darf es nicht weiter verwundern, dass das Schweigen über die Freiheit die größtmögliche Freiheit bedeutet. In der Konsequenz daraus, dürfte das Wort von der „freien Kulturszene“ kein einziges Mal in meiner Antwort fallen. Schweige ich mich deswegen zu dieser Thematik aus? Warum aber habe ich dann in einem Anfall von Wahnsinn schier das Hardenberg-Projekt angefangen? -mit der ganzen Ambivalenz, die in dem Namen „Hardenberg-Projekt“ bereits enthalten ist? «„Hardenberg“ - was für ein großer Name für ein Projekt!» spreche ich es im Hardenberg-Projekt-Film aus. Es ist der Widerspruch in sich, das Paradox und insofern ist der Arbeitstitel sehr prägend und programmatisch für das Unterfangen, das im literarischen Titel „Die Gesichter des Niklas Hardenberg“ heißt. Ein Fortsetzungsroman über die Freie Kulturszene im Erzählstil fiktiver Dialoge geht der Arzähler mit seiner Romanfigur, die sich in der Realität inkarnieren will, von Ort zu Ort und sucht Stätten der freien Kulturszene auf, um sie zu beschreiben.

Oberflächlich betrachtet könnte das eine nette Reportage werden, aber in meiner Federführung degeneriert das Projekt wie ein Karzinom. «Sie haben mich zwischen den Zeilen Ihrer Texte versteckt - nein! Sie haben mich in einem Buchstabensalat mit Gedankendressing verwurstet!», möchte ich Niklas Hardenberg an mehr oder weniger geeigneter Stelle sagen lassen. In dieser Situation will er nicht mehr sein: aber kann sich jemand, der schon „verwurstet“ ist, noch einmal erheben? -sich zu einem fordernden Subjekt reformulieren?

Ich habe Niklas Hardenberg eigentlich ehrlich und wahrhaftig eine ernstzunehmende Alternative angeboten: schon die Folge 1 entbehrt doch nicht einer guten Prise Dialektik! Warum bleibt er nicht in meiner Romanwelt? Warum nimmt er sich nicht des Schicksals der Sheherezade an, die in der 1002. Nacht doch stirbt? Sheherezade ist enthauptet und der Sultan sitzt auf dem Diwan und schweigt! Mich empört dieser Gedanke. Warum empört er nicht Niklas Hardenberg?

Vielleicht gibt schon der Trailer zum Hardenberg-Film eine Antwort darauf...

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